Risiko und Compliance
Welche Rolle spielt die Business Judgement Rule bei Vorständen und Aufsichtsräten?
Die Business Judgement Rule regelt und limitiert im US-amerikanischen Rechtssystem seit mehr als 20 Jahren die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen. Auch in Deutschland wurde die Business Judgement Rule nur wenige Jahre später eingeführt. Durch die zunehmende Anzahl von Skandalen hat die Business Judgement Rule in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen.
Auch wenn die Regelung klar scheint, ist die Nachweisbarkeit des Handelns des Vorstands oftmals schwierig. Sofern sich eine Entscheidung des Vorstands einige Jahre später als Fehlentscheidung herausstellt, muss der damalige Wissensstand nachgewiesen werden. Diese Nachweise zu erbringen ist umso wichtiger, wenn die Fehlentscheidung für das Unternehmen mit erheblichen negativen Konsequenzen im Zusammenhang steht. Andererseits kann auch ein gewissenhafter und sorgfältiger Vorstand Entscheidungen treffen, die sich einige Jahre später als Fehlentscheidung herausstellen. Es besteht die Gefahr der persönlichen Haftung für den Vorstand.
Die Haftung für unternehmerische Entscheidungen von Vorständen bei negativen Konsequenzen ist begrenzt und fällt unter bestimmten Voraussetzungen unter die Business Judgement Rule. Bei der Abgrenzung ist die Frage entscheidend, ob der Vorstand die unternehmerische Entscheidung aufgrund angemessener Informationen und ohne Berücksichtigung sachfremder Interessen getroffen hat. Die Entscheidung des Vorstands muss zum Wohle des Unternehmens sowie in gutem Glauben gefasst worden sein. Außerdem ist erforderlich, dass der Vorstand gutgläubig war, damit die Business Judgement Rule Anwendung findet. Der Nachweis dieser Voraussetzungen und die Anwendung der Business Judgement Rule müssen durch den Vorstand erfolgen.
Hintergrund der Business Judgement Rule und Bedeutung für den Vorstand
In der Vergangenheit gab es gravierende Fälle von Fehlentscheidungen der Unternehmensleiter, über die die Wirtschaftsmedien ausführlich berichtet haben. Die Gesetzgeber haben daher in vielen Ländern die persönliche Haftung der Vorstände bzw. Geschäftsführer eingeführt. Es gibt verschiedene Ursachen für die Fehlentscheidungen der Unternehmensleiter. Nicht nur Fälle von Korruption oder Manipulationen haben zu negativen Konsequenzen für die betroffenen Unternehmen geführt. Auch getroffene Entscheidungen auf Basis von fehlenden Informationen oder nicht absehbaren Ereignissen in der Zukunft wurden in den letzten Jahren für Unternehmen immer mehr zu einer Herausforderung.
Durch disruptive Geschäftsmodelle oder aber Zukäufe von Unternehmen, die sich im Nachhinein als Fehlinvestition herausstellten, kam es immer wieder zu Fehlentscheidungen der Vorstände. Gerade beim Thema Digitalisierung und den damit verbundenen disruptiven Geschäftsmodellen ist es für die Unternehmensleitung oftmals schwierig, zukünftige Entwicklungen und Veränderungen richtig zu prognostizieren. Auch rechtliche Hürden können ein Grund dafür sein, dass die vom Management erstellte Prognose von der tatsächlichen Realität erheblich abweicht. Bei Akquisitionen von Start-ups oder älteren Unternehmen besteht immer das Risiko, dass die Investition langfristig nicht gewinnbringend war. Andererseits gibt es aber auch die Chance, dass durch Zukäufe anderer Unternehmen das eigene Wachstum vorangetrieben und so die Entwicklung sehr positiv ist.
Da der Vorstand nachweisen muss, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Business Judgement Rule erfüllt waren, kommt der Dokumentation der Entscheidungsfindung eine erhebliche Bedeutung zu. Daher sollte der Vorstand korrekt, prägnant und nachvollziehbar dokumentieren, wie er zu seiner getroffenen Entscheidung gelangt ist. Diese aufwendige Dokumentation ist in der Praxis jedoch oftmals schwer umsetzbar.
Die Herausforderungen des Gesetzgebers
Die Herausforderung des Gesetzgebers ist es nunmehr, ein entsprechendes rechtliches Umfeld zu schaffen. Dies muss einerseits der Geschäftsleitung ermöglichen, Entscheidungen mit einem gewissen Risiko treffen zu können, ohne dabei bei Einhaltung der Sorgfaltspflichten mit persönlichen Konsequenzen fürchten zu müssen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass viele Chancen für das Unternehmen sich gar nicht ergeben. Denn Entscheidungen werden fast immer unter Unsicherheit mit einem bestehenden Risiko getroffen. Andererseits sollen die gesetzlichen Regelungen jedoch auch ermöglichen, dass der Unternehmensleiter zur Rechenschaft gezogen werden kann, sofern er seiner Sorgfaltspflicht nur mangelhaft nachgekommen ist. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn das Unternehmen durch die Entscheidung des Vorstands bzw. Geschäftsführers negative Folgen hatte. Dies kann beispielsweise ein finanzieller Verlust in Form eines zu zahlenden Schadensersatzes aber auch ein Imageverlust, der zu einer Abwanderung der Kunden zur Konkurrenz führt, sein.
Damit die Geschäftsleitung das Unternehmen zum Wohle des Unternehmens weiterentwickeln kann, bedarf es eines vorhandenen Ermessensspielraumes bei der Entscheidungsfindung. Um diese Interessen auszugleichen, kam die Rechtsprechung zu dem Schluss, dass die Haftung der Geschäftsleitung nur im Falle eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Unternehmensleiters gegeben ist. Als Business Judgement Rule wird demnach die Einschränkung der Haftung zum Schutz des Unternehmensleiters bezeichnet.
Business Judgement Rule: Bedeutung für den Aufsichtsrat
Die Business Judgement Rule gilt nicht nur für die Unternehmensleitung, sondern auch entsprechend für den Aufsichtsrat. Sofern also für eine unternehmerische Entscheidung die Business Judgement Rule für den Vorstand angewendet wird, gilt sie auch gleichzeitig für den Aufsichtsrat. Auch wenn der Aufsichtsrat in diesem Fall seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist, gilt die Business Judgement Rule. Dies liegt daran, dass der Aufsichtsrat bei einer pflichtgemäßen Entscheidung des Vorstandes nicht einschreiten muss.
Eine etwas andere Bedeutung hat die Business Judgement Rule für den Aufsichtsrat in denen Fällen, in denen er selbst an den unternehmerischen Entscheidungen mitwirkt und sich seine Auffassung dazu nicht mit denen des Vorstands deckt. Dies betrifft die sog. zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäfte der Gesellschaft. In den folgenden Fällen wirkt der Aufsichtsrat an unternehmerischen Entscheidungen mit, so dass hier die Business Judgement Rule Anwendung findet:
- Festlegung des Vergütungssystems
- Mitwirkung zur Feststellung des Jahresabschlusses
- Dotierung von anderen Gewinnrücklagen
- Vorschlag für die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder
- Vorschlag für die Auswahl des Abschlussprüfers
- Auftragserteilung an den Abschlussprüfer
- Festlegung der Prüfungsschwerpunkte für die Abschlussprüfung
- Vorschlag für die Gewinnverwendung
- Zustimmung zu Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn
- Entscheidung über die Bedingung der Aktienausgabe beim genehmigten Kapital
- Zustimmung von Verträgen mit Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern
- Mitwirkung bei der Ausübung von Beteiligungsrechten
- Entscheidung über die Abberufung von Vorstandsmitgliedern aus wichtigem Grund
- Bemessung der individuellen Vergütung von Vorstandsmitgliedern
- Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand
- Maßnahmen zur Selbstorganisation des Aufsichtsrates
Der Aufsichtsrat wird dann unternehmerisch tätig, wenn er über die Erteilung der Zustimmung zu einem Geschäft entscheidet. Wichtig dabei ist, dass es bei diesem Geschäft einen unternehmerischen Ermessensspielraum gibt. Bei einem Geschäft handelt es sich nicht lediglich um Rechtsgeschäfte des Unternehmens, sondern auch Maßnahmen wie beispielsweise die Verabschiedung von projektgebundenen Budgets oder aber auch Investitionsentscheidungen.
Falls der Aufsichtsrat einem derartigen Geschäft nicht zustimmt, da es seinen eigenen unternehmerischen Vorstellungen nicht entspricht, kann er für seine Entscheidung die Business Judgement Rule anwenden.
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