Governance
Hauptversammlungen in Zeiten von Corona
Die diesjährige Hauptversammlungs-Saison ist anders als jemals zuvor: Die Unternehmen haben in den vergangenen Wochen reihenweise ihre anberaumten Präsenz-Hauptversammlungen verschoben. Besonders beliebt ist der Umstieg auf die virtuelle Hauptversammlung. Ende April 2020 hat Bayer als erstes DAX-Unternehmen eine virtuelle Hauptversammlung durchgeführt.
Die Unsicherheiten bezüglich der anstehenden Hauptversammlungen war in den letzten Wochen besonders groß: Zunächst hat der Gesetzgeber die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um eine Online- bzw. rein virtuelle Hauptversammlung überhaupt zu ermöglichen. Anfangs waren die Unternehmen sehr zögerlich mit ihrer Entscheidung bezüglich einer Verschiebung bzw. Abhalten einer rein virtuellen Hauptversammlung.
Diese neue Möglichkeit sorgt für eine Unmenge an Fragen, für die es bisher noch keine Erfahrungswerte gibt: Anders als bisher gewohnt, müssen Aktionäre in den meisten Fällen ihre Fragen im Voraus einreichen. Die virtuelle Teilnahme an der Hauptversammlung bietet derzeit nicht die Möglichkeit, während der Hauptversammlung noch Fragen zu stellen. Insbesondere bei strittigen Themen wie beispielsweise dem Squeeze-out bei der Comdirect-Bank sorgt dies für weiteren Diskussionsstoff.
Was sich hinter einer virtuellen Hauptversammlung verbirgt
Im Gegensatz zu einer Präsenz-Hauptversammlung sind bei einer rein virtuellen Hauptversammlung die Aktionäre nicht persönlich anwesend. Sie erhalten die Möglichkeit, mittels Streaming die Hauptversammlung live zu verfolgen. Sofern sie Fragen an den Aufsichtsrat und Vorstand haben, müssen diese im Voraus eingereicht werden. Dafür ist eine Registrierung erforderlich, nach deren erfolgreichem Prozess die Fragen eingereicht werden können. In den meisten Fällen können Fragen bis 48 Stunden vor der Hauptversammlung eingereicht werden.
Die Unternehmen haben Dienstleister engagiert, die ihnen technisch beim Ablauf der ersten rein virtuellen Hauptversammlung zur Seite stehen. Diese arbeiten sehr eng mit den Investor-Relations-Abteilungen der Unternehmen zusammen. Da aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie erstmalig rein virtuelle Hauptversammlungen abgehalten werden, gibt es hierzu noch keinerlei Erfahrungswerte.
Eine rein virtuelle Hauptversammlung grenzt sich von einer Online-Hauptversammlung wie folgt ab: Bei einer Online-Hauptversammlung ist eine Präsenz-Teilnahme möglich, die Übertragung erfolgt online in einem geschützten Raum für die Aktionäre. Durch die Einschränkung von Veranstaltungen mit größeren Personengruppen werden mittlerweile jedoch keine Online-Hauptversammlungen abgehalten. Vor der Verschlimmerung der Pandemie-Lage gab es noch einige Unternehmen, die ihre Hauptversammlung auf diese Art und Weise durchgeführt hatten. Die Unternehmen hatten die Aktionäre darum gebeten, nicht persönlich teilzunehmen. Anders als in den Jahren zuvor wurde außerdem das Essensangebot erheblich ausgedünnt.
Welche Herausforderungen eine virtuelle Hauptversammlung mit sich bringt
Derzeit wird bei der Durchführung einer rein virtuellen Hauptversammlung insbesondere das Recht der Aktionäre auf Auskunft seitens der Gesellschaft kontrovers diskutiert. Hier besteht die Befürchtung, dass aufgrund fehlenden Präsenz der Aktionäre deren Fragerechte eingeschränkt werden könnten. Denn anders als bei einer Präsenz-Hauptversammlung gibt es hier nicht die Möglichkeit, bei einer erhaltenen Antwort erneut nachzufragen.
Sorge bereitet einigen Unternehmen derzeit das Auftauchen eines technischen Problems während der Hauptversammlung. Aus diesem Grund erfolgt das Streaming lediglich in eine Richtung: Die Aktionäre können sich mit den erhaltenen Zugangsdaten online für die Teilnahme an der Hauptversammlung anmelden. Sie können somit die Rede des Vorstands verfolgen. Direkte Rückfragen können sie allerdings nicht stellen.
Die Antworten auf die im Voraus an das Unternehmen eingereichten Fragen werden in der Hauptversammlung verlesen. Direkte Rückfragen sind so nicht möglich: Dies ist somit ein entscheidender Unterschied im Gegensatz zur Präsenz-Hauptversammlung. Allerdings sorgt dies möglicherweise auch dafür, dass mehr interessierte Aktionäre ihre Fragen einreichen. Denn so entfällt die Hürde, sich am Wortmeldetisch anzumelden und vor den anwesenden Aktionären seine Fragen vorzutragen.
Warum viele Unternehmen die Präsenz-Hauptversammlung nicht verschieben
Nur wenige Unternehmen machen derzeit von der Möglichkeit Gebrauch, die Hauptversammlung zu verschieben. Dies hängt vor allem auch mit den derzeitigen Unsicherheiten bezüglich der Dauer der bestehenden Einschränkungen zur Vermeidung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus zusammen. Denn falls die Präsenz-Hauptversammlung neu terminiert wird, ist momentan nicht sicher, ob diese dann auch als Präsenz-Veranstaltung stattfinden kann.
Die Terminverschiebung bedeutet vor allem auch die Suche nach Räumlichkeiten. Sofern Veranstaltungen in einige Monaten wieder erlaubt werden könnten, würde dies zu Engpässen bei freien Räumlichkeiten führen. Zudem fallen bei einer Stornierung möglicherweise weitere Kosten an.
Abgesehen von den beschriebenen Problemen bei der Planung der Hauptversammlung können so auch anstehende Beschlüsse noch nicht gefällt werden. Es ist zwar möglich, eine Vorab-Dividende auszuschütten. Allerdings kann das alte Geschäftsjahr 2019 ohne die Durchführung einer ordentlichen Hauptversammlung nicht final abgeschlossen werden. Auch können so beispielsweise notwendige Aufsichtsratswahlen nicht durchgeführt werden.
Anwesende Aktionäre: Was sich verändern könnte
In den Präsenz-Hauptversammlungen sind in der Regel weniger jüngere Aktionäre anwesend. Dies liegt mitunter auch daran, dass diese für die Teilnahme an der Hauptversammlung entsprechend Urlaub beantragen müssen. Auch ist die Anreise zum Veranstaltungsort nicht nur mit einem zeitlichen Aufwand, sondern auch einigen Kosten verbunden. Durch den Umstieg auf eine rein virtuelle Hauptversammlung ist es folglich erheblich einfacher für diese Aktionärsgruppe, an der Hauptversammlung teilzunehmen und entsprechende Fragen zu stellen. Dies setzt jedoch voraus, dass gerade auch aufgrund der derzeitigen Lage ausreichend Zeit für die Online-Teilnehmer vorhanden ist.
Fazit: Die diesjährigen Hauptversammlungen werden sicherlich noch einige Diskussionen nach sich ziehen. Auch wird sich danach vermutlich die Ausführung der Hauptversammlungen nachhaltig ändern. Ob dies eher in Form einer rein virtuellen oder eher einer Mischform wie der Online-Hauptversammlung sein wird, wird sich zeigen. Auch bedarf es der notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen über die derzeitige Krise hinaus.
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